Rachitis: Die gefürchtete Vitamin-D-Mangelkrankheit
Definition: Was ist Rachitis?
Dunkel waren die Wohnviertel der Arbeiter, über denen der Smog der Fabriken lag. Dunkel waren die Bergwerke und dunkel die Textilfabriken, in denen im Zeitalter der Industriellen Revolution viele Kinder schon früh mitarbeiten mussten. Überdurchschnittlich viele von ihnen waren kleinwüchsig, wiesen deformierte Gelenke und O-Beine auf: Typische Symptome einer Rachitis, die wegen ihrer erstmaligen Beschreibung durch den englischen Arzt Francis Glisson bis heute auch als Englische Krankheit bezeichnet wird. Verbreitet war sie während der Industriellen Revolution allerdings überall in Europa.
Knochen sind ständig im Auf- und Umbau, als nicht so hart, wie man gemeinhin denken mag. Damit sie trotzdem fest genug sind, um uns durchs Leben zu tragen, muss die Knochensubstanz nach dem Aufbau mineralisiert werden. Dafür sind vor allem Kalzium und Phosphat zuständig. Bei Kindern mit Rachitis ist dieser Mineralisierungsprozess gestört. Die Folge: Die Knochen bleiben weich und es kommt zu Verformungen und Wachstumsproblemen.
Tritt eine derartige Mineralisierungsstörung bei Erwachsenen auf, spricht man von Osteomalazie. Die Symptome unterscheiden sich von denen der Kinder, auch wenn die Ursachen identisch sind.
Ursachen: Verschiedene Arten von Rachitis und Osteomalazie
Rachitis und Osteomalazie sind Mangelerkrankungen. Die Ursprünge dieses Mangels können aber sehr verschieden sein:
- Kalziummangel: Diese Form der Rachitis ist die mit Abstand häufigste und fast immer auf einen Vitamin-D-Mangel zurückzuführen. An Kalziummangelrachitis waren auch die vielen Arbeiterkinder in England erkrankt, die so gut wie kein Sonnenlicht sahen und entsprechend kaum Vitamin D bildeten.
- Phosphatmangel: Ein Phosphatmangel entsteht meist durch Nierenerkrankungen, die zu einer erhöhten Phosphatausscheidung führen. Manchmal ist auch eine angeborene Phosphatdiabetes die Ursache – sie wird auch familiäre hypophosphatämische Rachitis oder Vitamin-D-resistente Rachitis genannt.
- Phosphotasemangel: Alkalische Phosphotase ist als Enzym beim Knochenaufbau fast genauso wichtig wie Kalzium, Phosphat und Vitamin D. Menschen mit erblicher Hypophosphatasie zeigen zu wenig Enzymaktivität.
Symptome von Rachitis bei Kindern
Typische Abbildungen der Symptome einer Rachitis sind Fotos von Kindern mit verformten Beinen. Doch die ersten Anzeichen der Krankheit zeigen sich schon bei Babys im Alter von acht bis 12 Wochen:
- Unruhe
- Schreckhaftigkeit
- starkes Schwitzen am Hinterkopf
Mit etwa vier Monaten werden die Symptome noch deutlicher:
- Neigung zu Verstopfung
- weiche Schädelknochen
- Entwicklung eines „Froschbauchs“, bedingt durch eine schwache Bauchmuskulatur und einen unten weit aufgestellten Brustkorb
Außerdem typisch für das Krankheitsbild von Rachitis:
- Verformungen der Wirbelsäule
- Muskelkrämpfe
- flache, fast quadratische Schädelform
- verbreiterte Hand- und Fußgelenke
- Zahnprobleme: später Durchbruch und kaputter Zahnschmelz
- aufgereihte Schwellungen des Knorpel- und Knochengewebes an den Rippen; auch „Rosenkranz“ genannt
Symptome von Osteomalazie bei Erwachsenen
Erkranken Erwachsene an Osteomalazie, bleiben die typischen Knochenverformungen meistens aus, da die Wachstumsphase schon abgeschlossen ist. Stattdessen treten folgende Symptome auf:
- Knochenschmerzen bei Belastung
- dauerhafte, dumpfe Knochenschmerzen
- häufige Knochenbrüche auch ohne konkreten Anlass
- Muskelschwäche
- schlechte Kondition
Durch die mangelhafte Mineralisierung haben Osteomalazie-Patienten außerdem ein erhöhtes Osteoporoserisiko, was aber äußerlich nicht wahrnehmbar ist.
Diagnose: So werden Rachitis und Osteomalazie erkannt
Liegt ein Verdacht auf Rachitis oder Osteomalazie vor, gibt häufig schon ein Bluttest Aufschluss. Bestimmt werden folgende Werte:
- alkalische Phosphatase
- Kalzium
- Phosphat
- Vitamin D
- Leberwerte
- Nierenfunktion
Röntgenbilder zeigen die Veränderung am und im Knochen meist nur unzureichend, können im Zuge der Gesamtdiagnose aber sinnvoll sein. Nur wenn die Diagnose sehr unsicher ist, muss eine Knochenbiopsie, also eine Entnahme von Knochengewebe, aus dem Beckenknochen erfolgen.
Therapie: Die Krankheit lässt sich gut behandeln
Die Therapie besteht vor allem darin, den jeweiligen Mangel auszugleichen – also Vitamin D, Kalzium und Phosphor zuzuführen. Nach einer sogenannten Stoßtherapie – also einer Therapie, bei der die fehlenden Stoffe mehrfach in kurzen Abständen in hoher Dosis verabreicht werden – reichen im Anschluss oft eine kalziumreichen Ernährung und regelmäßige Aufenthalte im Freien.
Kann der Körper genetisch bedingt Vitamin D3nicht zu aktivem Vitamin D (Calcitriol) verstoffwechseln, muss Calcitriol bis ans Lebensende künstlich zugeführt werden. Hierfür sind Tabletten in der Regel ausreichend. Manchmal sind zusätzliche hohe Kalziumdosen notwendig – entweder als Tabletten oder Infusionen.
Kleinere Knochenverformungen heilen bei Kindern meist von selbst, wenn der Mangel ausgeglichen wird. Bei schweren Fehlstellungen sind Orthesen ratsam, also medizinische Hilfsmittel wie Stützapparate zur Korrektur der Deformation. Manchmal müssen die Knochen auch operativ neu ausgerichtet werden.
Prävention für Kinder und Erwachsene
Säuglinge bekommen in Deutschland standardmäßig Vitamin D, um Rachitis vorzubeugen. Warum Vitamin D für Babys so wichtig ist, erfahren Sie hier.
Für ältere Kinder und Erwachsene sind eine kalziumreiche Ernährung und viel Tageslicht in der Regel ausreichend. Die Einnahme von Vitamin-D-Tabletten zur Vorbeugung von Rachitis beziehungsweise Osteomalazie kann für einige Risikogruppen sinnvoll sein, sollte aber nie ohne Rücksprache mit dem Arzt erfolgen.