Sterbebegleitung bei Kindern
Wie erleben Kinder Krankheit?
Bei der Erfahrung von Krankheit durchläuft der Mensch verschiedene Entwicklungsstadien. Das Denken in diesen Stadien unterscheidet sich grundlegend von dem eines Erwachsenen. Das gilt es, bei der Kommunikation mit Kindern über Kranksein und Sterben zu beachten. Bis zu einem Alter von sieben Jahren können Kinder die Ursachen einer Krankheit kaum begreifen. Auch können sie die Notwendigkeit von Behandlungen sowie die Entscheidungen ihrer Eltern und der Ärzte bezüglich ihrer Krankheit nicht einfach nachvollziehen. Medizinische Behandlungen, etwa das Geben einer Spritze, können nicht als notwendige Behandlung begriffen werden, wenn diese schmerzt.
Daher ist es wichtig, Behandlungen zu erklären und möglichst sichtbar zu machen – auch deshalb, damit man nicht Gefahr läuft, dass das Kind die Behandlung gar als Strafe für ein vermeintliches Fehlverhalten begreift. Kinder deuten oft krankheitsfremd. Das heißt, sie suchen nach Erklärungen im Außen. So passiert es leicht, dass eine Operation als Strafe gedeutet wird, weil der „Teller nicht aufgegessen“ oder das „Zimmer nicht aufgeräumt“ wurde.
Um dies zu vermeiden, ist es wichtig, dass Eltern und Ärzte immer versuchen, zu erklären, warum bestimmte Maßnahmen durchgeführt werden und dass diese nichts mit dem Kind und seinem Verhalten zu tun haben. Ebenso wichtig ist es, dem Kind Schutz, Liebe und Geborgenheit zu vermitteln. Es braucht den engen Kontakt zu Vertrauenspersonen, die trösten und beschützen.
Krankheit erleben im Grundschulalter
Ab dem Grundschulalter sind Kinder in der Lage, eine Krankheit auf den Körper zu beziehen und zu verstehen, dass Krankheiten durch Einwirkung von außen, etwa durch Viren, Bakterien oder Giftstoffe, ausgelöst werden können. Es wächst das Verständnis dafür, dass die Behandlung eines Arztes, etwa die Gabe von Medikamenten oder eine Spritze, helfen, die Krankheit zu behandeln. Das Kind kann leichter nachvollziehen, warum welche Maßnahmen notwendig sind. Es bezieht die Therapie nicht auf sich sondern erkennt, dass die Krankheit im Fokus der Therapie steht. Auch in dieser Phase gilt für Eltern, Ärzte und Pflegende mit dem Kind im Gespräch zu bleiben, zu erklären was, wann und warum gemacht wird. Auch ist es wichtig, sich Zeit für die Fragen des Kindes zu nehmen. So kann es Vertrauen entwickeln und erfahren, dass die Behandlung durchgeführt wird, um ihm zu helfen.
Krankheit erleben ab elf Jahren
Mit etwa elf Jahren entwickelt das Kind die Fähigkeit, einfache physiologische und psychologische Zusammenhänge zu erfassen. Es kann Lebensstil und Verhalten zur körperlichen Befindlichkeit in Zusammenhang setzen. Ihm gelingt es nun zudem Stück für Stück, Bewältigungsstrategien zu entwickeln, um mit den Belastungen von Krankheit und Behandlung besser zurechtzukommen. Es möchte aktiv handeln, damit es ihm besser geht. Es sucht basierend auf seinen Möglichkeiten nach Lösungen für seine Situation. Es begreift, dass es die Situation mit verändern kann und sucht aktiv den Austausch mit ihm vertrauten Personen.
Wie junge Erwachsene Krankheit erleben
Jungen Erwachsenen gelingt es zunehmend, Gesundheit und Krankheit zu verstehen und Therapien nachzuvollziehen. Zusammenhänge können erkannt, Folgen einer Erkrankung, Behandlung oder Nichtbehandlung immer besser abgeschätzt werden. Junge Erwachsene möchten aktiv für sich einstehen, Entscheidungen mit treffen, im Austausch mit Ärzten und Pflegenden sein und sich selbst als aktiver und ebenbürtiger Teilnehmer im Rahmen der Behandlung erfahren. Ebenso wie Erwachsene durchleben sie bei Konfrontation mit einer lebensbedrohenden Erkrankung die verschiedenen Phasen der Krankheitsverarbeitung, darunter Leugnen, Wut, Schuldgefühle, Verzweiflung, Verhandeln, Depression, Angst und Akzeptanz. Welche Phasen durchlebt werden, wie sie erfahren werden und ob manche übersprungen oder mehrmals durchschritten werden, ist individuell.
Herausforderung Sterbebegleitung bei Kindern
Wie ist Sterbebegleitung bei Kindern und jungen Menschen? Je jünger ein unheilbar kranker Mensch ist, desto betroffener macht uns das. Wir empfinden es als unfair, extrem schmerzhaft und unbegreiflich, dass ein Mensch, der sein ganzes Leben noch vor sich haben sollte, sterben muss. Dies anzunehmen, fällt sehr schwer. Eltern und Angehörige sind hilflos und verzweifelt: Es soll nicht sein, dass das Kind vor den Eltern geht. Doch leider erleben viele Familien den frühen Verlust eines Kindes. Angaben des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands e. V. leben in Deutschland etwa 50.000 Kinder und Jugendliche mit einer lebensverkürzenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung.
Die Begleitung des Kindes in dieser schweren Zeit ist ebenso wie die Bewältigung der Trauer nach dem Tod des Kindes eine enorme emotionale Herausforderung und ein bedeutender Einschnitt im Leben. Eltern berichten häufig, dass sie ihr Leben in zwei Hälften unterteilen: ein Leben vor dem Tod des geliebten Kindes und ein Leben danach. Danach ist nichts mehr so, wie es war und nichts mehr so, wie es sein sollte. Es kann nicht wieder „gut“ werden. Die Wunde der Trauer heilt nie ganz. Vermissen, Wehmut und Traurigkeit werden zum lebenslangen Begleiter. Es ist schwer, den Tod zu akzeptieren. Und es ist schwer, mit dem Wissen um den nahenden Tod das eigene Kind in schwerer Krankheit und am Sterbebett zu begleiten. Das Kind zu begleiten, zu trösten und Kraft zu geben, obwohl man sich als Eltern und Angehörige gerade selbst hilflos und verzweifelt fühlt, führt Familien nicht selten an ihre Grenzen.
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Ist Sterbebegleitung bei Kindern anders als bei Erwachsenen?
Besonders bei jungen Menschen sind Hinfühlen und Hinsehen besonders wichtig. Kinder können ihre Wünsche und Bedürfnisse, aber auch Beschwerden wie Schmerzen nicht so äußern wie Erwachsene. Auch verwenden sie, besonders in jungen Jahren, häufig eine Symbolsprache. Hier braucht es Sensibilität und Einfühlungsvermögen – mehr noch als bei Erwachsenen. Das gilt auch dann, wenn Kinder pflegerische Maßnahmen, Untersuchungen oder Therapiemaßnahmen verweigern. Dann ist Fingerspitzengefühl gefragt. Auch kann die Gestaltung der Behandlung beziehungsweise der symptomlindernden Maßnahmen eine Herausforderung sein. Besonders mit Blick auf ein junges Leben fällt es Beteiligten oft schwer, einzuschätzen, welcher Weg der passende ist. So kann es in der Familie zu Uneinigkeiten kommen, was die Therapiemöglichkeiten angeht – etwa mit Blick auf Medikamente zur Schmerzlinderung oder dem Durchführen oder Unterlassen bestimmter Maßnahmen – was die Situation zusätzlich belastet.
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Sterbebegleitung Kinder: Wo Eltern Unterstützung finden
Familien kommen an ihre Grenzen, wenn ein junges Familienmitglied unheilbar krank ist. Keinesfalls sollten sie die belastende Situation alleine durchstehen. Hilfe, Unterstützung, aber auch Vermittlung in schwierigen Fragen können Palliativ-Teams, (ehrenamtliche) Sterbebegleiter, (ehrenamtliche) Trauerbegleiter und Seelsorger geben. Diese können auch die Kommunikation unterstützen. „Sollen wir unserem Kind sagen, dass es sterben wird?“, fragen sich Eltern oft unsicher. Und „Wie gehen wir mit den Fragen unseres Kindes zu Sterben und Tod um?“ Hier können Palliativ-Teams und Sterbebegleiter für Kinder der Familie helfen.
Wie gehen Kinder mit Sterben um?
Häufige Fragen, die Kinder mit einer lebensverkürzenden Erkrankung häufig stellen, sind laut dem Deutschen Hospiz- und PalliativVerband e. V. zufolge:
- Wie lange habe ich noch zu leben?
- Werde ich Schmerzen haben?
- Werde ich alleine sein, wenn ich sterbe?
- Darf ich sterben?
- Was kommt nach dem Tod?
- Werde ich vermisst werden?
- Wer kümmert sich um meine Eltern und Geschwister, wenn ich nicht mehr da bin?
Der Austausch mit dem Palliativ-Team kann helfen, die Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit in der Kommunikation zu überwinden und Antworten zu finden, die dem Alter des Kindes entsprechen.
Sterbebegleitung bei Kindern: Wenn Hunger und Durst nachlassen
Eltern und Angehörige möchten für das schwerstkranke Kind alles tun, was sie können. Sie möchten beschützen und ihre ganze Liebe schenken. Eine weitere Belastung ist es daher, wenn die Versorgung mit Essen und Trinken nicht mehr möglich ist, weil das Kind zunehmend weniger Durst und Hunger hat. Palliativbegleiter wissen: Es ist im Sterbeprozess normal, dass der Körper kaum noch Bedürfnis nach Essen und Trinken verspürt. Die Kinder haben keinen Hunger und Durst, weil sie sterben. Sie sterben nicht, weil die nichts essen. Das ist für Eltern wichtig zu wissen. Es ist nicht ihr Versagen. Auch haben sie nichts falsch gemacht. Was Eltern und Angehörige in der Finalphase/ im Sterbeprozess tun können, ist eine liebevolle Mundpflege. Hierbei wird der Mund vorsichtig gereinigt – Palliativ-Teams erklären gerne, wie das geht – und befeuchtet. So kann der Mund über einen Zerstäuber etwa mit dem Lieblingssaft des Kindes befeuchtet werden.
Nah sein, mitgehen und aushalten
Am wichtigsten für das Kind ist, dass die geliebten Menschen da sind. Nah sein und den letzten Weg gemeinsam gehen – und aushalten – das sind die bedeutendsten, aber auch schwierigsten Aufgaben für Eltern, An- und Zugehörige. So schenkt es bereits Geborgenheit, wenn die Eltern am Bett sitzen, vielleicht den Kopf streicheln, die Hand halten oder sanft die Füße massieren. Eltern spüren, was ihr Kind braucht, was es nicht mag und wenn es sich in sich zurückzieht und etwas Distanz einfordert. Wertvolle Momente könne das Hören des Lieblingshörspiels sein, das gemeinsame Fernsehschauen der Lieblingscomicserie oder das Vorlesen aus dem Lieblingsbuch. Welche Art der Unterhaltung möglich ist, ist abhängig vom Krankheitsprozess, in dem sich das Kind befindet.
Sterbebegleitung bei Kindern: Palliativpflege zuhause oder Hospiz?
Ob das schwerstkranke Kind zuhause oder in einem Hospiz betreut wird, ist von verschiedenen Faktoren abhängig:
- Lässt der Zustand eine Betreuung zuhause zu?
- Fühlen sich Eltern, An- und Zugehörige in der Lage, die Betreuung zuhause zu stemmen?
- Wie schätzen Ärzte und das Palliativ-Team die aktuelle Situation ein?
Oftmals ist es so, dass das Kind kurzzeitig in ein Hospiz kommt, um Eltern und Angehörige in der Pflege zu entlasten – und kommt nach einer gewissen Zeit wieder nach Hause. Oder das Kind wird lange Zeit zu Hause versorgt und verbringt die letzten Tage in Hospiz. Auf die Frage „Palliativpflege zuhause oder im Hospiz“ gibt es keine allgemeingültige Aussage. Es muss immer der individuelle Fall betrachtet werden.
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Die Arbeit von Kübler-Ross: Wie Krankheit und Sterben empfunden werden
Ein berührender Vortrag der schweizerisch-US-amerikanischen Psychiaterin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross (* 8. Juli 1926 in Zürich; † 24. August 2004 in Scottsdale, Arizona). Kübler-Ross entwickelte ein weltweit beachtetes Fünf-Phasen-Modell, welches das Erleben und den Umgang sterbenskranker Menschen beschreibt. Dank der Sterbeforscherin erfuhren Sterbeforschung und Sterbebegleitung eine große Aufwertung.
Quellen:
Marion Jettenberger: 1 x 1 der Sterbebegleitung. Am Ende wissen, wie es geht… . Manuela Kinzel Verlag. 1. Auflage 2022.
H. Christof Müller-Busch: Studienheft „Palliativbegleitung. Schwerstkranke und Sterbende begleiten“. Studienheft 4 des Fernstudiengangs „Palliativbegleitung“ der Fernschule sgd.
Michael Nehls: Studienheft „Palliativbegleitung. Kranksein, Sterben, Tod und Trauer als psychosoziale Herausforderung“. Studienheft 2 des Fernstudiengangs „Palliativbegleitung“ der Fernschule sgd.
bundesgesundheitsministerium.de: „Hospiz“. Online-Information des Bundesministeriums für Gesundheit.
yumpu.com: „Abschied nehmende Kinder. Eine Handreichung des DHPV“. Online-Broschüre (PDF) des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands e. V.
who.int: „Palliative care. Key facts“. Online-Information der WHO.
dgpalliativmedizin.de: „WHO Definition of Palliative Care (2002)“. Online-Information (PDF) der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin e. V.
kinderpalliativzentrum.de: „Palliativ- und Hospizversorgung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Westfalen-Lippe. Eine Informationsbroschüre für Versorger“. Online-Broschüre (PDF) der Ansprechstelle im Land Nordrhein-Westfalen zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung (ALPHA) im Landesteil Westfalen-Lippe, Münster in Zusammenarbeit mit den SAPV-Teams für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Westfalen-Lippe.
dgpalliativmedizin.de: „Hospiz- und Palliativversorgung im Überblick: Wer bietet was wo?“. Online-Information der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin.
veid.de: „Begleitung für betroffene Familien“. Online-Angebot des Bundesverbands Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V.