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Psychische Krankheiten bei Kindern: Welche sind häufig und wie erkennt man sie?

In Deutschland leben rund 13 Millionen Kinder und Jugendliche. Psychische Erkrankungen gehören zu den häufigsten Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen. Etwa zwanzig Prozent der Kinder in Deutschland gelten als psychisch auffällig, zehn Prozent als psychisch krank: Das heißt: Fast vier Millionen Kinder und Jugendliche sind betroffen. Häufige psychische Erkrankungen sind Ängste, Depressionen, Essstörungen und Verhaltensauffälligkeiten wie ADHS. Der Ratgeber „Psychische Erkrankungen bei Kindern“ von Gelbe Seiten gibt Ihnen einen umfassenden Überblick über psychische Krankheiten bei Kindern sowie Informationen und Ratschläge zur Prävention, Identifizierung und Unterstützung von Kindern mit psychischen Erkrankungen.

Was sind psychische Auffälligkeiten?

Als psychisch auffällig gelten Kinder und Jugendliche, wenn ihr Verhalten und Empfinden hinsichtlich des Entwicklungsstandes und den gesellschaftlichen Erwartungen nicht der Norm entsprechen. Psychische Auffälligkeiten und psychische Erkrankungen wirken sich negativ auf den Alltag des Kindes aus und können einen starken Leidendruck mit sich bringen – für das Kind selbst, aber auch für Bezugspersonen wie Eltern, Lehrende und Erziehende. Die betroffenen Kinder verstehen sich selbst oft nicht und sind mit sich und ihrer Umwelt überfordert. Und auch die Bezugspersonen fühlen sich oft hilflos und verunsichert.

Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge sind bei rund 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland Anhaltspunkte für psychische Auffälligkeiten zu finden. Zehn Prozent gelten als psychisch krank. Das RKI erhebt regelmäßig Daten zur psychischen Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen. Die Langzeitstudie KiGGS beispielsweise beobachtet die gesundheitliche Situation der in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen seit 2009 – und begleitet sie bis ins Erwachsenenalter.

Wie häufig sind psychische Auffälligkeiten bei Kindern?

In der KiGGS-Studie Welle 2 wurden von 2014 bis 2017 Daten von über 15.000 Kindern und Jugendlichen erfasst und ausgewertet. Das Ergebnis: Die Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland beträgt für diesen Zeitraum insgesamt 16,9 Prozent. Jungen zeigen mit 19,1 Prozent eine signifikant höhere Prävalenz als Mädchen mit 14,5 Prozent. Dies trifft dem RKI zufolge insbesondere für die Altersgruppen von drei bis 14 Jahren zu. Für Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren sei die Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten zwischen Mädchen und Jungen vergleichbar. Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status seien mehr als doppelt so häufig psychisch auffällig wie Gleichaltrige aus Familien mit hohem sozioökonomischen Status.

Wie hat sich Corona auf die Psyche von Kindern ausgewirkt?

Ebenso hat das Robert Koch-Institut untersucht, wie sich die COVID-19-Pandemie auf Kinderseelen ausgewirkt hat – und hat die Ergebnisse im Februar 2023 im Journal of Health Monitoring unter dem Titel „Veränderungen der psychischen Gesundheit in der Kinder- und Jugendbevölkerung in Deutschland während der COVID-19-Pandemie – Ergebnisse eines Rapid Reviews“ zusammengefasst. Die Daten der repräsentativen Studien zeigen ein überwiegend hohes Ausmaß an pandemiebezogenen Belastungen, Zunahmen psychischer Auffälligkeiten und Beeinträchtigungen der Lebensqualität.

Viele Kinder litten erheblich an dem Kontaktabbruch zu Freunden, unter der Angst um die Gesundheit der Familie sowie an der Sorge, selbst zu erkranken. In einer der ausgewerteten Untersuchungen gaben zwei Drittel der befragten Kinder und Jugendlichen an, sich durch die COVID-19-Pandemie belastet zu fühlen. In einer anderen Studie gaben rund 80 Prozent der befragten Kinder an, den Kontakt zu Freundinnen und Freunden zu vermissen. Viele glaubten zudem, dass es nach Corona nie mehr so sein würde wie zuvor. Zudem nahmen im Pandemie-Zeitraum Berichte über häusliche Gewalt zu. Bereits für die Anfangsphase der Pandemie wurden im Vergleich zum vorpandemischen Zeitraum aus den Studien teils erhebliche Anstiege bei psychischen Auffälligkeiten bis hin zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen beobachtet.

Lesetipp: Essstörungen bei Kindern? Keine Seltenheit.

Darum bleiben psychische Krankheiten oft lange unbehandelt

Obwohl psychische Probleme zu den häufigsten Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen gehören, bekommen Angaben der Stiftung Achtung!Kinderseele der Fachverbände für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie (DGKJP, BAG, BKJPP) zufolge nur fünf bis zehn Prozent der Kinder mit psychischen Krankheiten professionelle Hilfe. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen spielen sich seelische Erkrankungen zum Großteil im Inneren ab. Da sie zunächst meist das Denken und Fühlen betreffen und erst später das Handeln, bleiben sie im Außen oft eine ganze Weile unsichtbar. Ein weiterer Aspekt ist, dass psychische Erkrankungen bei Kindern oftmals schambesetzt sind und tabuisiert werden. Teilweise haben Eltern Angst, dass ihr Kind mit der Diagnose „psychische Krankheit“ ausgegrenzt wird und Nachteile erfährt. Auch haben Eltern oft Sorge, dass sie von anderen Menschen verurteilt werden – was besonders schwerwiegend ist, wenn sie selbst bereits Schuldgefühle in sich tragen und Sorge haben, an dem Verhalten des Kindes möglicherweise mitverantwortlich zu sein. Doch Schuldzuweisungen sind hier fehl am Platz.

Was sind die häufigsten psychischen Erkrankungen bei Kindern?

Psychische Erkrankungen beim Kind können viele verschiedene Ursachen haben und bedeuten nicht zwangsläufig, dass die Eltern etwas „falsch“ gemacht haben oder gar „schuld“ an dem auffälligen Verhalten des Kindes sind. Experten wünschen sich mehr Offenheit. Psychische Erkrankungen sollten kein Tabu sein. Das ist wichtig mit Blick auf die Aufklärung, das Verständnis und eine frühe Behandlung. Je früher psychische Auffälligkeiten professionell behandelt werden, desto besser sind die Therapiechancen und desto besser kann sich das Kind entwickeln. Das nimmt Leidensdruck und verbessert die Lebensqualität für alle Beteiligten. Im Ratgeber „Psychische Erkrankungen bei Kindern“ von Gelbe Seiten finden Sie einen detaillierten Überblick über fünf häufige psychische Krankheiten im Kinder- und Jugendalter:

  • Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
  • Depressionen/ Stimmungsstörungen
  • Angststörungen
  • Essstörungen
  • Autismus-Spektrum-Störungen

Psychische Erkrankung beim Kind erkennen: Diese Symptome sind Warnzeichen

Jedes Kind ist mal wütend, laut, aggressiv, schweigsam, traurig, bedrückt, möchte nichts essen, schläft schlecht oder hat den Wunsch nach Rückzug. Dies ist nicht gleich Anlass zur Sorge. Kinder haben, ebenso wie Erwachsenen, gute und schlechte Tage. Aufmerksam werden sollten Bezugspersonen, wenn solche Verhaltensweisen und Stimmungen häufiger oder gar dauerhaft auftreten. Möglicherweise kam bereits von Seiten der Kita oder Schule ein Hinweis von den betreuenden Personen, dass das Kind wiederholt Auffälligkeiten zeigt. Dann sollten Eltern der Ursache auf den Grund gehen. Die Fachverbände für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie (DGKJP, BAG, BKJPP) geben als Symptome an, die ein möglichst schnelles Handeln erfordern:

  • starke Angstgefühle
  • langanhaltende Traurigkeit und Leere
  • starke innere Getriebenheit und Unruhe
  • neu oder stärker auftretende Konzentrationsprobleme
  • psychosomatische Symptome wie häufige Kopfschmerzen oder Magen-Darm-Beschwerden
  • anhaltend veränderte auffällige Essgewohnheiten

Lesetipp: Schizophrenie bei Kindern erkennen – Darauf sollten Sie achten.

Psychische Krankheit beim Kind behandeln: Hier finden Eltern Hilfe

Zeigen Kinder Auffälligkeiten wie ein plötzlich verändertes Verhalten, kann ein Arzt feststellen, ob möglicherweise eine psychische Erkrankung oder Störung die Ursache ist. Von einer psychischen Erkrankung sprechen Mediziner, wenn die Symptome aufgrund ihrer Ausprägung einen Krankheitswert bekommen, also einer psychischen Erkrankung zugeordnet werden können. Für die Diagnose psychischer Erkrankungen bei Kindern sind Kinder- und JugendärztInnen die erste Anlaufstelle. Bei Bedarf überweisen sie an FachärztInnen, die dafür ausgebildet sind, psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zu erkennen und zu behandeln. Den FachärztInnen für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie stehen speziell dafür entwickelte Befragungen und Beurteilungsmethoden zur Verfügung, darunter das Klassifizierungssystem ICD-10. Der ICD-Code ist ein weltweit anerkanntes System, mit dem medizinische Diagnosen einheitlich benannt werden. Neben der derzeit gültigen Version ICD-10 ist im Januar 2022 die neue Version ICD-11 in Kraft getreten. Für eine Übergangsfrist von fünf Jahren sind beide Versionen verwendbar, wie das Bundesministerium für Gesundheit mitteilt.

Vermuten ErzieherInnen, Lehrende oder andere im Bereich der Kinderbetreuung tätige Personen, dass das Kind psychische Auffälligkeiten zeigt, sollten sie das Gespräch mit den Eltern suchen und gemeinsam überlegen, wie man das Kind in seiner Entwicklung bestmöglich unterstützen kann. Die psychische Gesundheit ist eine wesentliche Voraussetzung von Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und sozialer Teilhabe. Bleiben psychische Erkrankungen im Kindesalter unbehandelt, können sie die Entwicklung des Kindes erheblich stören und auf dem weiteren Lebensweg zu schweren Problemen und Beeinträchtigungen führen.

Lesetipp: Depressionen bei Kindern: Symptome und Hilfe.

Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge sind bei rund 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland Anhaltspunkte für psychische Auffälligkeiten zu finden, etwa zehn Prozent gelten als psychisch erkrankt.
FachärztInnen stehen verschiedene Diagnoseverfahren zur Verfügung, darunter das Klassifizierungssystem „Internationale Klassifikation der Krankheiten ICD-10 (International Classification of Diseases)“. Mit Hilfe eines standardisierten mehrdimensionalen Beurteilungssystems, dem „Multiaxialen Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO“ können psychische Störungen, Teilleistungsstörungen wie Sprachentwicklungsstörung oder Legasthenie, das Intelligenzniveau, körperliche Erkrankungen, aktuelle psychosoziale Umstände sowie die psychosoziale Anpassung kategorisiert und aufgrund der Ergebnisse entsprechende Diagnosen gestellt werden.
Aufmerksam werden sollten Eltern, wenn das Kind Phasen oder längerfristige Veränderungen in seinem Wesen zeigt, etwa Stimmungen häufig wechseln, verstärkt Ängstlichkeit auftritt, sich Probleme mit dem Essen entwickeln, Schlafprobleme anhalten oder wenn sich Charakterzüge und Stimmungen zeigen, welche für die Eltern unbekannt und besorgniserregend sind. Dann sollten Eltern einen Termin bei einem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie vereinbaren. Auch wenn für das Kind oder die Eltern ein starker Leidensdruck aufgrund des Verhaltens gegeben ist oder das Verhalten den Alltag beeinträchtigt, sollten Eltern Hilfe suchen. Kinder- und Jugendärzte in Ihrer Nähe finden Sie mit Hilfe der Gelbe Seiten-Suche

Quellen:

achtung-kinderseele.de: „Thema: Psychische Erkrankungen“. Online-Information der Stiftung Achtung“Kinderseele der Fachverbände für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie (DGKJP, BAG, BKJPP).

rki.de: „Psychische Gesundheit und psychische Störungen“. Online-Information des Robert Koch-Instituts (RKI).

rki.de: „Kinder- und Jugendgesundheit“. Online-Information des Robert Koch-Instituts (RKI).

rki.de: „KiGGS: Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“. Online-Information des Robert Koch-Instituts (RKI).

rki.de: „Journal of Health Monitoring S1/2023“. Online-Information des Robert Koch-Instituts (RKI).

rki.de: „Journal of Health Monitoring. Psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittsergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends“. Online-Information (PDF) des Robert Koch-Instituts (RKI).

rki.de: „Journal of Health Monitoring. Psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen – Ergebnisse der KiGGS-Kohorte“. Online-Information (PDF) des Robert Koch-Instituts (RKI).

rki.de: „Journal of Health Monitoring. Veränderungen der psychischen Gesundheit in der Kinder- und Jugendbevölkerung in Deutschland während der COVID-19-Pandemie – Ergebnisse eines Rapid Reviews“. Online-Information (PDF) des Robert Koch-Instituts (RKI).

msdmanuals.com: „Übersicht über psychische Erkrankungen bei Kindern“. Online-Information von MSD Manual. Ausgabe für Patienten.

kindergesundheit.info: „Psychische Probleme und Verhaltensprobleme bei Kindern“. Online-Information der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).

kindergesundheit.info: „Wegweiser bei Problemen in der kindlichen Entwicklung und in der Familie“. Online-Information der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).

neurologen-und-psychiater-im-netz.org: „Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie: Störungen und Erkrankungen“. Online-Information der Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

neurologen-und-psychiater-im-netz.org: „Warnzeichen für psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen“. Online-Information der Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.

gesund.bund.de: „Was sind ICD- und OPS-Codes?“ Online-Information des Bundesministeriums für Gesundheit.

bfarm.de: „ICD-10-WHO“. Online-Information des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Disclaimer: Dieser Text enthält nur allgemeine Hinweise und ist nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung geeignet. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Alle individuellen Fragen, die Sie zu Ihrer Erkrankung oder Therapie haben, besprechen Sie mit Ihrem behandelnden Arzt.
AL
Ann-Kathrin Landzettel
Autor/-in
Ann-Kathrin Landzettel M. A. ist Gesundheitsjournalistin aus Leidenschaft. Vor allem zwei Fragen treiben die geprüfte Gesundheits- und Präventionsberaterin an: Wie können wir lange gesund bleiben – und wie im Krankheitsfall wieder gesund werden? Antworten findet sie unter anderem im intensiven Austausch mit Ärztinnen und Ärzten sowie in persönlichen Gesprächen mit Patientinnen und Patienten. Seit fast zehn Jahren gibt sie dieses Wissen rund um Gesundheit, Medizin, Ernährung und Fitness an ihre Leserinnen und Leser weiter.
Ann-Kathrin Landzettel
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