Das Phänomen Frühjahrsputz: Warum wollen wir im Frühling sauber machen?
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Das Phänomen Frühjahrsputz: Warum wollen wir im Frühling sauber machen?

Der Frühjahrsputz: für viele nach wie vor ein Ritual. Warum Menschen gerade im Frühling nach Ordnung und Sauberkeit streben und wie sich das Verhältnis zum Putzen im Laufe der Zeit gewandelt hat, erklärt Diplom-Psychologe Jens Lönneker. Unter seiner Leitung entstand eine tiefenpsychologisch-repräsentative Studie zum Thema Putzen, die der Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel e. V. (IKW) veröffentlicht hat.

Gelbe Seiten: Viele Deutsche, darunter auch Putzmuffel, ringen sich zu Beginn des Frühjahrs einmal zum Großreinemachen durch. Warum ist das so?

Jens Lönneker: Dieses Ritual gibt es nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern, die einen jahreszeitlichen Wetterwechsel haben. Bis ins 19. Jahrhundert hinein – als offenes Feuer zum Kochen, Heizen und zur Beleuchtung verwendet wurde – war es üblich, mit den ersten erhellenden Sonnenstrahlen und wärmeren Temperaturen das Haus gründlich von Ruß und Staub zu befreien.

Der Frühling ist immer mit einem Aufbruch verbunden, und nach christlicher Tradition sollte sich das Haus zum Osterfest im frischen und sauberen „Kleid“ präsentieren. Man putzt sich selbst heraus und gleichzeitig auch seine Unterkunft, um die Reste des Winters „hinauszukehren“. Dieser Brauch des Frühjahrsputzes ist bis heute geblieben. Schließlich beleuchtet das im Frühling schräg einfallende Sonnenlicht auch heute noch Staub, Schlieren und andere Verunreinigungen besonders deutlich.

Der Frühjahrsputz fällt ja zudem in die Fastenzeit. Mag das auch eine Rolle spielen? Wer sich körperlich entschlackt, will vielleicht auch seine Wohnung entschlacken?

Lönneker: Auf jeden Fall. Wer nicht aus religiösen Gründen fastet, will oft etwas für sich und seine Figur tun und damit attraktiver wirken. Eine aufgeräumte und geputzte Wohnung trägt dazu bei.

Unabhängig vom einmal im Jahr stattfindenden Frühjahrsputz: Hat sich die Bedeutung des Putzens im Laufe der letzten Jahrzehnte gewandelt?

Lönneker: Sehr stark sogar. In den Nachkriegsjahren war noch selbstverständlich, dass eine Wohnung einen sehr sauberen und ordentlichen Eindruck vermittelte. War dies nicht der Fall, galt die Hausfrau als schlampig. Im Zuge des Women´s Liberation Movement setzte sich in den folgenden Jahrzehnten eine gewisse Lässigkeit im Umgang mit Schmutz und Unordnung durch. Putzen wurde mehr zur Nebensache. Eine Wollmaus in der Ecke galt plötzlich nicht mehr als schlampig, sondern als Ausdruck der Befreiung.

Und heute ist Putzen wieder „in“?

Lönneker: Das Herstellen von Sauberkeit ist heute so wichtig wie lange nicht mehr. Putzen hilft den Menschen, den Alltag besser zu bewältigen und einem Gefühl von Ohnmacht und Überforderung entgegenzutreten. Die Welt um sie herum erscheint ihnen unsicher und unübersichtlich. Die Vielzahl an Entwicklungsmöglichkeiten im privaten sowie im beruflichen Leben übt einen zusätzlichen Druck auf Menschen aus, etwas zu verpassen oder die falsche Entscheidung zu treffen.

Die Sehnsucht nach einem sicheren „Hafen" wird daher immer größer. Und in diesem „Hafen“ wollen sich die Menschen dann auch wohlfühlen. Durch Putzen und Aufräumen schaffen sie sich eine eigene vertraute Umgebung, die sie außerhalb ihres Heims vermissen. Schaffen sie Ordnung in ihrem Heim, schaffen sie auch Ordnung in ihrem Leben.

Also sehen wir uns gerade wieder in die 50er-Jahre zurückversetzt?

Lönneker: Nein, heute putzen ja auch die Männer. Und die Frauen, die heute putzen, sind nicht mehr subaltern und sehen sich nicht mehr als Hausfrau mit Kittel und Kopftuch, sondern eher als Lara Croft, die den Kampf gegen die Milbenarmee aufnehmen und gewinnen will. In diese Richtung geht ja mittlerweile auch das Design der modernen Staubsauger: Sie ähneln optisch eher einer Waffe als einem Haushaltsgerät.

Eine von Ihnen durchgeführte Studie lässt noch einen anderen Schluss zu, warum zu Eimer, Lappen und Staubsauger gegriffen wird: Sie sprechen von der „neuen Macht des Putzens"…

Lönneker: Das stimmt. 49 Prozent der Befragten haben der Aussage zugestimmt „Ich mache Ordnung und putze, also habe ich auch das Sagen in unserem Haushalt“. Wer putzt, gewinnt dementsprechend an Bedeutung und „Macht“, was die Gestaltung des Wohnraums angeht und bestimmt auch in erster Linie die Form des Zusammenlebens.

Laut der Studie gibt es fünf unterschiedliche Putztypen…

Lönneker: Genau. 35 Prozent der Befragten sind Perfektionisten, die jeden Schmutz sofort nach der Entstehung entfernen wollen. Im Gegensatz dazu stehen die Kaschierer, die Ordnung nur an den Stellen für wichtig halten, die für alle sichtbar sind, den Putzaufwand aber möglichst gering halten wollen. Das sind immerhin noch knapp ein Viertel aller Studienteilnehmer.

Relevante Putztypen sind zudem die Herrscher, die nur ihre Auffassung von Sauberkeit zulassen, die Lebenskünstler, die Sauberkeit ganz individuell definieren und oft ihre eigenen Ordnungssysteme entwickeln und die Kontrollettis, die sich nach außen als Diener geben, der die ganze Putzarbeit übernimmt, in Wahrheit aber die Kontrolle über das Putzen und die Sauberkeit im Haus behalten.

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Schon der Guru Maharishi empfahl seinen Anhängern, sehr viel zu putzen und sauberzumachen.
— Jens Lönneker

Putzen ist oft recht monoton, vor allem beim Frühjahrsputz, wenn nicht nur ein Fenster, sondern alle geputzt werden müssen. Sehnen sich Menschen in der hektischen Welt vielleicht geradezu nach solchen Tätigkeiten? Hat Putzen auch meditativen Charakter?

Lönneker: Putzen kann auf jeden Fall solche Momente entwickeln. Das ist übrigens nichts Neues, schon der Guru Maharishi, Begründer der Transzendentalen Meditation, empfahl seinen Anhängern in den 60ern, sehr viel zu putzen und sauberzumachen.

Andere Haushaltstätigkeiten wie Kochen, Backen, Stricken oder Gärtnern sind mittlerweile trendy geworden, über viele dieser Arbeiten gibt es mittlerweile sogar Fernsehshows. Wird es jetzt auch bald „Das große Putzduell֧“ oder Ähnliches geben?

Lönneker: Es gibt ja schon Sendungen, die sich damit beschäftigen, wie Menschen wieder Ordnung in ihr Leben bekommen – das ist ja gar nicht mal soweit davon weg. Und Haushaltsgeräte zum Reinemachen sind ja längst trendy geworden. Denken Sie mal an die Saugroboter, die die Haushalte erobern. Das sind High-Tech-Gadgets, mit denen ihre Besitzer auch gerne mal angeben. Und gerade die stylishen batteriegetriebenen Handstaubsauger sprechen auch immer mehr Männer an, die ihren Kumpels plötzlich voller Stolz ihre neueste Putzerrungenschaft präsentieren. Die werden teils gar nicht mehr im Schrank verstaut, sondern im Flur oder Wohnzimmer sichtbar angebracht.

Also sind es bald die Männer, die sich vornehmlich um das Reinemachen der Wohnung kümmern?

Lönneker: Die Frauen machen laut unserer Stichprobe mit 69 Prozent weiterhin den größeren Anteil aus, doch die Männer holen auf. Es sind vor allem jüngere Männer, die für sich beanspruchen, auch Zugriff auf die Haushaltsarbeit zu bekommen.

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