Barrierefrei im Netz
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Barrierefrei im Netz

Nicht nur im physischen Alltag, auch im digitalen World Wide Web finden sich Hürden, die für Menschen mit Behinderung unüberwindbar sind. Doch das muss nicht sein. Im 4. Seminar der Online-Reihe von Gelbe Seiten und Sozialheld*innen zeigte Experte Holger Dietrich, wie sich Websites barrierefrei gestalten lassen – und weshalb das nicht nur Menschen mit Behinderung nutzt.

Als in den Sechzigerjahren in den Vereinigten Staaten die Bordsteine abgesenkt wurden, da ging es eigentlich vor allem um kriegsversehrte Rollstuhlfahrer, die bei den üblichen, hohen Bordsteinen, buchstäblich an kaum überwindbare Grenzen stießen. Doch heute sind abgesenkte Bürgersteige nicht nur in den USA, sondern zum Beispiel auch in Deutschland nicht mehr weg zu denken – und das nicht nur wegen der Rollstuhlfahrer. Denn viele Menschen profitieren davon: Kinder, die mit ihren kleinen Fahrrädern oder Rollern unterwegs sind; Eltern mit Kinderwagen; Reisende mit Rollkoffern; oder einfach ältere Menschen, für die hohen Bordsteinkanten eine große Gefahr darstellen.

Diesen Effekt nennt man seitdem den „Curb-Cut-Effekt“: Dinge, die für eine bestimmte Zielgruppe geändert werden, nutzen einer ganzen Gesellschaft. Beispiele gibt es seitdem viele für dieses Phänomen: Die Sprachausgabe an Computern etwa war ursprünglich für Menschen mit Sehbehinderungen gedacht; heute steht Amazon mit seiner Alexa in Millionen Wohnzimmern und wird von allen Menschen genutzt. Auch Untertitel, die ursprünglich Menschen mit Hörbeeinträchtigungen helfen sollten, Videos zu verstehen, werden heute in YouTube zum Beispiel permanent verwendet, weil viele Menschen sich zum Beispiel Videos in der Öffentlichkeit anschauen – und dort der Ton stören würde.

Auch im Internet wird Barrierefreiheit oft mit einem Anspruch verbunden, der vor allem Menschen mit Behinderungen zugutekommen soll. Doch das greift viel zu kurz. Barrierefreie Websites nutzen vielen Menschen. Wenn grelle Farben, blinkende Symbole und wirre Animationen auf Websites zu sehen sind, so triggern diese Effekte nicht nur Menschen mit Behinderung; sie sind auch für viele andere Nutzer*innen schlecht lesbar und wirken abschreckend.

Umso wichtiger, dass sich das Internet daran anpasst und zunehmend im Sinne einer aktiven Inklusion auf Barrierefreiheit setzt. „Inklusion bedeutet Teilnahme, Teilhabe, Teilgabe eines jeden Menschen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens“ – diesen Satz von Judy Gummich vom Deutschen Institut für Menschenrechte sollten sich immer mehr Menschen, aber vor allem Unternehmen als Anbieter von Internetauftritten noch mehr zu Herzen nehmen. 

Dabei gibt es vier Bereiche, die besondere Beachtung finden sollten: Angebote im Netz sollten wahrnehmbar sein für Menschen mit Behinderung; sie sollten bedienbar sein (zum Beispiel für Menschen mit motorischen Beeinträchtigungen), auch ohne Maus; sie sollten verständlich aufbereitet sein; und sie sollten robust sein, also etwa von verschiedenen Geräten aus abrufbar. 

Doch was bedeutet das konkret? Schriften zum Beispiel sollten für alle gut lesbar sein, um auch möglichst viele Menschen damit zu erreichen. Verschnörkelte Schriften und auch solche mit Serifen wie etwa bei Times New Roman sollten vermieden werden, zudem sollte die Schriftgröße mindestens bei zwölf liegen. Diagramme und Tabellen sollten zudem nicht nur farblich voneinander unterscheidbar sein, sondern auch mithilfe von Symbolen, die unterschiedliche Formen haben.

Sätze sollten kurz und verständlich geschrieben sein, um etwa Menschen mit kognitiven Behinderungen nicht auszuschließen. Videos sollten mit Untertiteln versehen und die Möglichkeit bieten, Gebärdensprache einzublenden. Bilder sollten mit Alternativtexten versehen sein, damit sie im Vorlese-Modus beschrieben werden können. All diese kleinen, aber wichtigen Regeln helfen, das Netz allen gleichermaßen zugänglich zu machen – schließlich verfügen zehn Prozent der Menschen über eine Behinderung, und nur drei Prozent haben sie von Geburt an. 

Wer seinen Internetauftritt optimieren will, sollte sich an Richtlinien orientieren, etwa an jene der BITV und WCAG, die fast alle nationalen und internationalen Vorgaben erfüllen. Auch die Sozialheld*innen helfen dabei, Standards zu erfüllen. Denn barrierefreie Webseiten dürfen nie kostspieliges Extra, sondern sollten selbstverständlicher Teil eines jeden Web-Auftritts sein.

Alle relevanten Informationen finden Sie kompakt in einem Handout zusammengestellt hier.

Zum Referenten

Holger Dieterich gilt als Vorstandsmitglied der Sozialheld*innen und als Erfinder mehrerer Lösungen zum Thema Barrierefreiheit und Inklusion als Fachmann auf diesem Gebiet. Unter anderem beriet Dieterich die Vereinten Nationen im Jahr 2018 bei der Erstellung eines UN-Leitberichts zu Behinderung und nachhaltigen Entwicklungszielen.

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