Legasthenie: Diagnose der Lese-Rechtschreibstörung (LRS) – 9 Fragen
Was sind erste Anzeichen einer Legasthenie?
Die Legasthenie ist eine schulische Entwicklungsstörung. Experten sprechen auch von einer spezifischen Lernstörung. Legasthenie besteht aus einer Lesestörung und/oder einer Rechtschreibstörung. Betroffene Kinder haben Schwierigkeiten beim Lese- und/oder Schreibprozess: Sie lesen langsam, verrutschen in den Textzeilen und vertauschen Buchstaben, Silben und Wörter. Auch bestehen Schwierigkeiten, den gelesenen Text zu verstehen und wiederzugeben. Beim Schreiben kommt es ebenfalls zum Vertauschen, Hinzufügen oder Weglassen von Buchstaben, Silben oder Wörtern. Ein Wort ist im Text in unterschiedlichen Schreibvarianten zu finden. Dem Kind fällt es schwer, Rechtschreibregeln zu berücksichtigen. Die Handschrift ist oft unleserlich. Zurückzuführen sind die Lernschwierigkeiten auf veränderte Hirnfunktionen, wie bildgebende Verfahren zeigen konnten. Haben Eltern Legasthenie, ist das Risiko bei den Kindern erhöht, da sie dann eine gewisse genetische Veranlagung in sich tragen.
Kurz gemerkt: Fehlerhäufigkeit und Fehlerhartnäckigkeit sowie eine zunehmende Unlust zu lesen und zu schreiben sind Hinweise auf eine möglicherweise bestehende Legasthenie. Legasthenie-Tests für zuhause, die online abgerufen werden können, können erste Hinweise auf eine möglicherweise bestehende Legasthenie geben. Eine Diagnose durch auf Legasthenie spezialisierte Ärzt:innen oder Therapeut_innen ersetzen sie nicht. Bei Verdacht auf eine Lese-Rechtschreibstörung sollten Eltern professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen.
Verdacht auf Legasthenie – was tun?
Bei Verdacht auf eine Lese-Rechtschreibstörung sollten sich Eltern zunächst mit dem:r Klassenlehrer:in in Verbindung setzen und nachfragen, ob und in welchen Bereichen sich das Kind schwertut. Die Feststellung der besonderen Schwierigkeiten beim Lesen, Rechtschreiben und Rechnen gehört zu den Aufgaben der Schule. Der schulpsychologische Dienst kann unterstützend hinzugezogen werden. Möglich ist auch, auf LRS-Ansprechpartner:innen in der Schule zuzugehen oder an eine in der Lese-, Rechtschreib- oder Rechendiagnostik ausgebildete Lehrkraft – das kann beispielsweise eine Deutsch-Lehrkraft sein.
Verhärtet sich der Verdacht, sollten Eltern Kontakt zum Kinderarzt oder der Kinderärztin aufnehmen. Dieser beziehungsweise diese kann für eine medizinische Diagnose an entsprechende Fachstellen überweisen, wo nötige Tests und Untersuchungen durchgeführt werden.
Legasthenie-Diagnose: Wie wichtig für den weiteren schulischen Verlauf?
Die Diagnose einer Legasthenie ist wichtig. Legasthenie ist nicht heilbar, kann aber, durch entsprechende Förderung und Unterstützung verbessert werden. Außerdem bieten verschiedene Bundesländer schulische Unterstützung an. So wird eine LRS bei der Notengebung berücksichtigt. Auch haben Kinder oft mehr Zeit für Prüfungen zur Verfügung oder sind von Diktaten befreit. Von Seiten des Jugendamts besteht unter bestimmten Voraussetzungen die Teil-Kostenübernahme einer Legasthenie-Therapie.
Kurz gemerkt: Erste Anlaufstellen bei Verdacht auf eine Lese-Rechtsschreibstörung sind die Lehrkräfte, der schulpsychologische Dienst, der Schularzt und der Kinderarzt. Kinderärzt:innen in Ihrer Nähe finden Sie über die Branchensuche von Gelbe Seite. Für erste Fragen zum Thema Legasthenie bietet zudem der Bundesverband Legasthenie & Dyskalkulie e.V. (BVL) ein Beratungstelefon unter 0228-38 75 50 54 an.
Wann kann man Legasthenie feststellen?
Probleme beim Lesen und Schreiben fallen Eltern in der Regel erst nach der Einschulung auf. Eine ausgeprägte Störung bereitet schon in den ersten Schulmonaten große Schwierigkeiten. Weniger ausgeprägte Defizite bleiben oft länger unerkannt. Der Verdacht auf eine Legasthenie erhärtet sich oft dann, wenn die Fehlerhäufigkeit trotz Üben weiterhin hoch bleibt und sich die Lese- und Schreibleistung des Kindes immer deutlicher von der Entwicklung der anderen Kinder unterscheidet. Eindeutig diagnostiziert werden kann eine Lese-Rechtschreibstörung den Berufsverbänden für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland zufolge erst im Verlauf der zweiten Klasse, da die Entwicklungsverläufe im Lesen und Schreiben während der ersten Monate des Schriftspracherwerbs noch sehr unterschiedlich seien und Schwierigkeiten nicht zwingend auf das Bestehen einer Legasthenie hinweisen müssten.
Welcher Arzt ist für die Legasthenie-Diagnose der richtige?
„Wer kann eine Legasthenie medizinisch diagnostizieren?“, fragen sich Eltern oft und wissen nicht genau, wohin sie sich wenden sollen. Hier kann ein:e Kinderärzt:in ebenso wie ein:e Schulärzt:in weiterhelfen und entsprechende Überweisungen ausstellen. Ärzt:innen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sowie Kinder- und Jugendpsychotherapeut:innen dürfen die medizinische Diagnose einer Lese-/Rechtschreibstörung stellen. Auch Kinderärzt:innen mit der Zusatzausbildung Sozialpädiatrie und Kinderpsychologie können eine Legasthenie feststellen. Weiterhin können psychologische Psychotherapeut:innen das Testverfahren durchführen.
Kurz gemerkt: Sind Eltern unsicher, an welche Stellen sie sich für die Diagnose einer Legasthenie wenden können, hilft der Kinderarzt oder die Kinderärztin weiter. Auch die einzelnen Landesverbände des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e. V. können spezialisierte Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen nennen.
Welche Tests diagnostizieren Legasthenie?
Wie diagnostiziert ein:e Ärzt:in Legasthenie? Für die Diagnose werden andere Erkrankungen ausgeschlossen und eine Legasthenie wird mit standardisierten Testverfahren diagnostiziert. Die speziellen Lese- und Rechtschreibtests sowie Rechentests finden in einer ärztlichen Praxis oder in einem sozialpädiatrischen Zentrum statt. Für die Diagnose muss die Leseleistung und/oder Rechtschreibleistung des Kindes deutlich unter dem Stand liegen, der für das Alter, die Klassenstufe oder die Intelligenz zu erwarten ist.
Gemäß den Empfehlungen der S3-Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und/oder Rechtschreibstörung“ der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP) werden für die Diagnose einer Lese-Rechtschreibstörung, einer isolierten Rechtschreibstörung oder einer isolierten Lesestörung die Ergebnisse psychometrischer Leistungstests herangezogen, welche die Lesegeschwindigkeit, Lesefehler und Leseverständnis sowie die Fehler in der Rechtschreibung beim Wort- und/oder Textschreiben messen. Die Betrachtung der Textproduktion kann weitere wichtige Hinweise auf die Folgen der Rechtschreibstörung geben. Wünschenswert sind der S3-Leitlinie zufolge außerdem Verfahren der Lernstandsdiagnose, welche die spezifischen Stärken und Schwächen in der Lernentwicklung im Lesen und/oder Rechtschreiben identifizieren.
Lesetipp: Ist Lesen bei schlechtem Licht schädlich für die Augen?
Kurz gemerkt: Eine Legasthenie wird mit Hilfe standardisierter Testverfahren diagnostiziert. Angaben des Legasthenie-Zentrums Berlin e.V. zufolge führen bei etwa fünf Prozent der Kinder die Ergebnisse dieser Untersuchungen zur Diagnose Lese- Rechtschreibstörung. Jungen sind häufiger von Legasthenie betroffen als Mädchen.
Welche Legasthenie-Diagnose-Tests gibt es?
Die Leitlinie nennt eine Reihe verschiedener Tests, die für die Diagnose einer Legasthenie hinzugezogen werden können. Ein paar Beispiele:
- Leseverständnistest für Erst- bis Sechstklässler (ELFE 1-6)
- Lesegeschwindigkeits- und Verständnistest für die Klassen 6-12 (LGVT-R 5-13)
- Lesetestbatterie für die Klassenstufen 6 -7 (Lesen 6-7)
- Lesetestbatterie für die Klassenstufen 8 - 9 (Lesen 8-9)
- Würzburger Leise Leseprobe – Revision (WLLP-R)
- Deutscher Rechtschreibtest für das erste und zweite Schuljahr (DERET 1-2+)
- Deutscher Rechtschreibtest für das dritte und vierte Schuljahr (DERET 3-4+)
- Hamburger Schreib-Probe 1-10 (HSP 1-10)
- Salzburger Lese- und Rechtschreibtest (SLRT II) - Lesetest für die 2. 3. und 4. Klasse
- Salzburger Lese- und Rechtschreibtest (SLRT II) Rechtschreibtest
- Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test für 1. und 2. Klassen (WRT 1+)
- Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test für 2. und 3. Klassen (WRT 2+)
- Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test für dritte und vierte Klassen (WRT 3+)
- Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test für vierte und fünfte Klassen der Grund- und Hauptschule (WRT 4+)
- Aus Ermangelung an Alternativen sollte für die Altersgruppe der Jugendlichen ab der 11. Klasse der RST-ARR angewendet werden (KKP).
Was wird für die LRS-Diagnose noch berücksichtigt?
Ergänzend können körperliche Untersuchungen wie Augen- und Hörtests sowie Intelligenztests durchgeführt werden, um Erkrankungen als Ursache für die Lernstörung auszuschließen. Ebenso empfiehlt die Leitlinie die ganzheitliche Betrachtung des Entwicklungsverlaufs, der Familien- und Schulsituation sowie die Auswirkungen der Leistungsdefizite auf die psychische und soziale Entwicklung, die schulische Integration, die gesellschaftliche Eingliederung und die Familie. Die Diagnostik muss daher, so die Autoren der Leitlinie, interdisziplinär von Fachleuten durchgeführt werden, die Fachkenntnisse im Bereich der Lese- und/oder Rechtschreibstörungen und der psychometrischen/klinischen Diagnostik von Kindern und Jugendlichen besitzen.
Was bedeutet die Diagnose Legasthenie für das Kind?
Eine Legasthenie kann man nicht heilen. Eine frühe und gezielte Förderung durch speziell ausgebildete Therapeuten kann die Lese- und Schreibschwierigkeiten deutlich verbessern. Angaben der Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland zufolge, ist meist eine Förderungsdauer von ein bis zwei Jahren notwendig. Bei der Auswahl eines:r Therapeut:in sollten Eltern, so die Empfehlung des Berufsverbands, auf die Zertifizierung durch den Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie geachtet werden, da durch dieses Zertifikat eine grundständige Ausbildung im Bereich der Legasthenie-Förderung nachgewiesen werde. Die Legasthenie-Therapie umfasst unter anderem:
- Buchstaben-Laut-Erkennung
- Sprechübungen
- Hörübungen
- Erlernen von Rechtschreibregeln
Ist eine Legasthenie ärztlich diagnostiziert, kann im Rahmen des Schulrechts ein Nachteilsausgleich angefordert werden. Wie dieser gestaltet ist, ist länderspezifisch und sollte mit der jeweiligen Schule abgestimmt werden. Der Nachteilsausgleich sollte sich über alle Schulfächer, die Lesen und Schreiben erfordern, erstrecken. Der Nachteilsausgleich für Legastheniker regelt beispielsweise, dass
- Rechtschreib- und Lesefehler nicht in die Notengebung eingehen dürfen.
- es Zeitzugaben bei Arbeiten und Prüfungen gibt.
- das Kind von Diktaten freigestellt ist.
- das Wissen verstärkt mündlich abgefragt wird.
Ebenso können schulische Förderangebote wahrgenommen werden.
Quellen:
awmf.org: „Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und / oder Rechtschreibstörung“. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP). AWMF-Registernummer 028-044.
kultusministerium.hessen.de: „Besondere Schwierigkeiten beim Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen. Hessisches Kulturministerium. Verordnung zur Gestaltung des Schulverhältnisse“. Verordnung des Hessischen Kultusministeriums.
bvl-legasthenie.de: „Fragen & Antworten zu Legasthenie & Dyskalkulie“. Online-Information des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e.V.
gesundheitsinformation.de: „Umschriebene Entwicklungsstörungen in der Kindheit und Jugend“. Online-Information des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
neurologen-und-psychiater-im-netz.de: „Therapie und Therapieprogramme bei Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie)“. Online-Information der Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.
neurologen-und-psychiater-im-netz.de: „Schulrechtliche Möglichkeiten zum Nachteilsausgleich bei Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie)“. Online-Information der Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland.
iflw.de: „Legasthenie-Erlasse der Bundesländer“. Online-Service des Instituts für integrative Lerntherapie und Weiterbildung (IFLW).
Andreas Warnke, Uwe Hemminger, Ellen Roth, Stefanie Schneck: Legasthenie. Leitfaden für die Praxis. 2002. Verlag: Hogrefe.
bvl-legasthenie.de: „Individuelle Maßnahmen, Nachteilsausgleich und Notenschutz“. Online-Information des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e.V.
bvl-legasthenie.de: „Qualifizierte Lerntherapeuten bei Lese-Rechtschreibstörung oder Rechenstörung“. Online-Information des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e.V.
bvl-legasthenie.de: „Legasthenie“. Online-Ratgeber (PDF) des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e.V.
bvl-legasthenie.de: „Elternratgeber“. Online-Ratgeber (PDF) des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e.V.
bvl-legasthenie.de: „Die Landesverbände Legasthenie & Dyskalkulie“. Online-Information des Bundesverbands Legasthenie & Dyskalkulie e.V.
legasthenie-zentrum-berlin.de: „Diagnostik“. Online-Information des Legasthenie-Zentrums Berlin e.V.
legasthenie-zentrum-berlin.de: „Ursachen“. Online-Information des Legasthenie-Zentrums Berlin e.V.
legasthenie-zentrum-berlin.de: „Psychische Störungen“. Online-Information des Legasthenie-Zentrums Berlin e.V.
icd.code.de: „F81.0“. Online-Verzeichnis von ICD-Code.