Trauma-Ursache: Wie entsteht ein Trauma?
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Trauma-Ursache: Wie entsteht ein Trauma?

Die Ursachen eines Traumas können sehr vielfältig sein. Oftmals entwickelt sich ein Trauma durch ein singuläres, stark belastendes Ereignis, in dem extremer Stress ausgelöst wird, das hilflos macht, überwältigend ist und keine Möglichkeit bietet, mit der Situation umzugehen. Experten sprechen von Schocktrauma. Doch auch über einen längeren Zeitraum bestehende psychisch und körperlich stark belastende Einflüsse – oft in der Kindheit – können zu einem Trauma (Entwicklungstrauma) führen. Sogar selbst getroffene Entscheidungen, etwa eine Abtreibung, können ein Trauma verursachen. Manchmal wissen Trauma-Betroffene auch nicht, woher ihre Trauma-Symptome kommen. Trauma-Ursachen: ein Überblick.

Trauma-Ursachen: Was löst ein Trauma aus?

Die traumatisierende Situation, die das Trauma verursacht, geschieht für die betroffene Person völlig unerwartet. Eine Vorbereitung ist ebenso wenig möglich wie eine Verarbeitung und Einordnung der Emotionen und Sinneseindrücke, die mit dem Ereignis verbunden sind. Eines haben alle Trauma-Ursachen gemeinsam: Sie sind mit intensivsten Empfindungen von Angst, Panik, Hilflosigkeit, Unsicherheit, Ohnmacht und Kontrollverlust verbunden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert Trauma als kurz- oder langanhaltendes Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß.

Was sind häufige Trauma-Ursachen?

Als traumatisierend können beispielsweise schwere Unfälle, lebensgefährliche Verletzungen und lebensbedrohliche Erkrankungen sein, von denen man selbst betroffen ist oder die man bei anderen Menschen miterlebt. Auch Naturkatastrophen wie Erdbeben und Überschwemmungen, Kriegserleben, Flucht und Terror haben traumatisierendes Potenzial. Erfahrungen erheblicher psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt sowie schwere Verlust- und Vernachlässigungserfahrungen gehören ebenfalls zu den möglichen Trauma-Ursachen.

Wie selbstsicher wir auch sein mögen, unser Leben kann im Bruchteil einer Sekunde völlig zerstört werden. 
— Dr. Peter A. Levine, Biophysiker und Psychologe und einer der bedeutendsten Traumaforscher unserer Zeit, in seinem Buch „Sprache ohne Worte. Die Botschaften unseres Körpers verstehen“

Potenziell traumatisches Erlebnis löst nicht bei jedem ein Trauma aus

Wichtig zu wissen ist: Nicht jedes potenziell traumatisierende Erlebnis löst bei allen Menschen gleichermaßen ein Trauma aus. Was als traumatisierend empfunden wird und wie stark der Mensch auf das Erlebte reagiert, ist individuell ganz unterschiedlich. Während der eine beispielsweise nach einem Überfall schnell wieder in den Alltag zurückfindet und das Erlebte gut verarbeiten kann, hat ein anderer mit langjährigen Folgen des Traumas zu kämpfen und bekommt in Situationen, die ihn an den Überfall erinnern (triggern), möglicherweise eine Panikattacke. Belastende Situationen können dann krankheitsauslösend sein, wenn sie von dem Betroffenen nicht verarbeitet werden können und keine erfolgreiche Bewältigung des Erlebten gelingt. Dann können sich Traumafolgestörungen ausbilden, etwa eine posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS.

Wie entsteht ein Trauma: Durch Zufall und durch Menschen verursachte Traumata

Experten unterscheiden, ob das Trauma durch eine zufällig geschehene Situation verursacht wurde oder eine durch Menschen ausgelöste Situation ist. Unfälle und Naturkatastrophen beispielsweise gehören zu den durch Zufall verursachten Belastungssituationen. Zu den durch Menschen ausgelösten Situationen, die traumatisierend wirken können, gehören beispielsweise körperliche, sexuelle und/ oder emotionale Gewalt. Verlusterfahrungen wie Tod können ebenfalls traumatisch sein. Auch unterscheiden Experten zwischen aktiven und passiven Formen der Traumatisierung, aber auch wie lange die belastende Situation andauerte – und unterscheiden unter anderem das Schocktrauma von einem Entwicklungstrauma.

Körperliches und psychisches Trauma

Auch wird zwischen einem körperlichen und einem psychischem Trauma unterschieden. Zwar wirken schwere Autounfälle oder etwa ein Lawinenunglück körperlich und auch psychisch. Doch Fachleute unterscheiden eine bestimmte Art des psychischen Traumas. Dieses kann beispielsweise bei Kindern entstehen, wenn sie nicht die benötigte Fürsorge von Seiten der Eltern bekommen – was ebenfalls als lebensbedrohlich empfunden wird. Ist die Mutter beispielsweise schwer krank, liegt etwa nach einer schweren Operation im Krankenhaus, oder vernachlässigt das Kind beispielsweise aufgrund einer Suchterkrankung, kann das auf das Kind traumatisierend wirken. Auch der Tod eines Elternteils kann traumatisierend für Kinder sein.

Bei sogenannten Bindungs- und Entwicklungstraumen ist es möglich, dass der betroffene Mensch kein einziges Mal körperlichen Schaden zugefügt bekommen hat und trotzdem in eine existenzielle Notlage gerät, in der er das eigene Überleben in Gefahr sieht. Kinder sind besonders gefährdet, da sie sich aus eigenen Kräften nicht aus einer solchen Situation befreien können.

Was sind häufige Trauma-Ursachen?

Abhängig von der Trauma-Ursache unterscheiden Traumaexpertinnen und Traumaexperten unter anderem folgende Trauma-Kategorien:

Schocktrauma: Ein Trauma aufgrund eines plötzlich auftretenden lebensbedrohlichen Ereignisses, das mit Hilflosigkeit verbunden ist, wie ein Unfall, eine Vergewaltigung, eine Bedrohung mit einem Messer und ähnliches. Auch eine Operation kann für den Körper als traumatisch empfunden werden – selbst dann, wenn sich der Mensch aktiv dafür entschieden hat. Eine Abtreibung, die gewollt ist, kann ebenfalls ein Trauma hervorrufen. Und sogar Erlebnisse, über die sich Menschen meist freuen, etwa Mutter- oder Vaterwerden, können für manche Menschen traumatisierend sein.

Entwicklungstrauma: Ist nicht auf eine einzelne Schocksituation zurückzuführen, sondern entwickelt sich über einen langen Zeitraum hinweg und ist meist mit dem Gefühl massiver Unsicherheit verbunden. Traumatische Erlebnisse sind etwa, wenn Kinder im familiären Umfeld immer wieder Gewalterfahrungen oder Vernachlässigung erleben.

Sekundärtraumatisierung: Betrifft Zeugen eines traumatischen Geschehens oder Helfer in traumatischen Situationen, zum Beispiel Feuerwehrleute, Notärzte, Ersthelfer an Unfallstellen oder Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.

Generationsübergreifendes Trauma: Kriege, Vergewaltigungen und andere Formen der Gewalt sowie Naturkatastrophen können auf die nachfolgenden Generationen wirken.

Soziales Trauma: Traumatische Ereignisse, die ganze Volksgruppen treffen, etwa durch Krieg oder Gewalt gegen bestimmte Kulturen, aber auch nach einem Zugunglück oder einem Terroranschlag.

Trauma nach medizinischen Klassifikationssystemen

Die medizinischen Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV sind maßgeblich für die fachgerechte Beurteilung psychischer Beschwerden. In ihnen ist der Begriff Trauma eng definiert und schließt allein Ereignisse mit ein, die objektiv mit „außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß“ (ICD-10) einhergehen oder „die tatsächlichen oder drohenden Tod, tatsächliche oder drohende ernsthafte Körperverletzung oder eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit von einem selbst oder Anderen“ (DSM-IV) einschließen und die subjektiv „bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würden“ (ICD-10) beziehungsweise mit „starker Angst, Hilflosigkeit oder Grauen" erlebt wurden.

Wenn das Trauma bleibt

Eine als traumatisch erlebte Situation hat eine tiefe seelische Erschütterung zur Folge. Es kommt zu einer Überforderung des angeborenen biologischen Stresssystems. Somit wirkt sich ein Trauma nicht nur seelisch, sondern auch körperlich aus – mit meist erheblichen Folgen für die körperliche und psychische Gesundheit der betroffenen Person. Viele können durch den Einfluss des Traumas und den Trauma-Symptomen nicht mehr wie zuvor am Alltag teilhaben. Manche ziehen sich sogar komplett zurück, sind sozial isoliert, können nicht mehr arbeiten gehen, leben tagtäglich mit starken Ängsten.

Die erlebte Hilflosigkeit, die Verzweiflung, die Ohnmacht, die Angst sowie der erlebte Kontrollverlust während des traumatisierenden Erlebnisses können so stark sein, dass eine Verarbeitung auch im Nachhinein schwer oder gar unmöglich ist. Die Welt der Betroffenen stürzt zusammen – und bleibt in Trümmern. Sie verlieren Sicherheit und Stabilität – im Außen wie in sich selbst.

Aktives oder passives Erleben: Was das Trauma-Risiko erhöht

Ein wichtiger Aspekt, ob sich ein Trauma ausbildet oder nicht, ist, ob die Situation verarbeitet werden kann. Hier spielen nicht nur Persönlichkeitsstrukturen mit hinein. Die Chancen, eine Traumatisierung zu verhindern, steigt, wenn der Körper in der extrem belastenden Stresssituation die Möglichkeit hat, aktiv zu sein, sich also zu Kampf oder Flucht zu entscheiden. Die Kampf- und Fluchtreaktionen ermöglichen unter Umständen Rettung und Überleben.

Muss das Erlebte passiv ertragen werden, etwa bei einem plötzlichen Autounfall, und fehlt jede Möglichkeit zur Reaktion und Handlung, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Trauma ausbildet. Je stressvoller und bedrohlicher die Situation wahrgenommen wird und je ausgeprägter Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit und Kontrollverlust sind, desto höher ist das Trauma-Risiko.

Trauma-Reaktion Erstarren

Besteht weder die Möglichkeit zur Flucht noch zur Verteidigung, greift das Gehirn zum letzten Schutzmechanismus zurück, den es hat: die Abschaltung, auch Lähmung oder Freeze genannt. Freeze bedeutet wörtlich "einfrieren" und beschreibt ein Erstarren in einer akuten und extremen Stresssituation. Eine Flut von schmerzbetäubenden körpereigenen Opiaten blockiert die integrative Wahrnehmung des Betroffenen. Es baut sich eine unsichtbare Schutzmauer auf. Das Bewusstsein zieht sich von der Außenwelt zurück.

Der erstarrte Mensch wehrt sich nicht, bewegt sich nicht, schreit nicht, ruft nicht um Hilfe, weint nicht, reagiert nicht. Er kann es nicht. Fehlen nach der lebensbedrohlichen Situation Möglichkeiten der Aufarbeitung und Verarbeitung und kann das Erlebte nicht integriert werden, kann sich aus dem Trauma eine Traumafolgestörung entwickeln, etwa eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS).

Ein Trauma entsteht, wenn Körper und Seele einem extremen Stresszustand ausgesetzt sind, sich in einer Situation befinden, die eine große Bedrohung für Leben, Gesundheit oder seelische Integrität bedeutet. Kommen die persönlichen Bewältigungsstrategien an ihre Grenzen und kann das Unheil nicht abgewendet werden, schaltet der Körper in den Notfallmodus. Instinktiv mobilisiert er alle Kräfte, um durch Flucht oder Kampf aus der Lage zu entkommen. Ist aktives Handeln nicht möglich, erstarrt der Mensch. Das Bewusstsein blendet das Außen aus. Was in diesem Notfallmodus erlebt wird, kann meist nicht mehr erinnert werden (Amnesie), da das Erlebte nur bruchstückhaft im Bewusstsein gespeichert wird. Im Unterbewusstsein allerdings können die dramatischen Eindrücke fest verankert bleiben – ohne verarbeitet worden zu sein. Diese können die Ursache für affektive Störungen, Vermeidungsverhalten und eine dauerhafte Erschütterung des Selbst und Weltverständnisses sein.  
Der Begriff Trauma wird umgangssprachlich weit gefasst. In Expertenkreisen ist er deutlicher eingegrenzt. Zu den möglichen Auslösern für ein Trauma gehören Gewalt, Misshandlung, sexuelle Gewalt, Unfälle, Vernachlässigung, medizinische Behandlungen, Naturkatastrophen, Kriegserlebnisse, Flucht und Vertreibung, Tod von Angehörigen und Freunden. Belastungen wie zum Beispiel eine Scheidung, Arbeitsplatzverlust oder Mobbing werden in Expertenkreisen nicht zu den Trauma-Ursachen gezählt. Trotzdem können auch sie belastende Symptome verursachen, welche den Beschwerden von Traumafolgestörungen ähnlich sind. 
Bei Verdacht auf ein Trauma ist meist der Hausarzt oder die Hausärztin die erste Anlaufstelle. Dieser oder diese überweisen bei Bedarf an entsprechende Fachärzte weiter. Eine psychologische Begleitung ist besonders für schwer traumatisierte Menschen sinnvoll. Eine erste Anlaufstelle kann auch ein Trauma- und Opferzentrum sein sowie Seelsorge-Telefone – die Sie auch über die Suchfunktion der Gelben Seiten finden. Wie die Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung“ betont, sollen nach traumatischen Ereignissen in den ersten Stunden bis Tagen psychologische, psychosoziale und psychotherapeutische Maßnahmen angeboten werden. Dies gelte insbesondere für ein Erleben eines schweren Unfalls, einer akut lebensbedrohenden Erkrankung, körperlicher und/oder sexueller Gewalt, einer Entführung oder Geiselnahme, eines Terroranschlags, eines Kriegsereignisses, von Folter oder einer Naturkatastrophe.  

Quellen:

S2k-Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung“ der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie; der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde; der Deutschen Gesellschaft für Psychologie sowie der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin und ärztliche Psychotherapie (DGPM). AWMF-Register Nr. 051-027.

Seelisches Trauma: Was ist das? Online-Information von Gesundheit.GV.AT – Öffentliches Gesundheitsportal Österreich des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz.

Was ist ein Trauma und wie entstehen Traumafolgestörungen? Online-Information der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT).

Risikofaktor: Trauma oder schwere Belastungen. Online-Information der Berufsverbände und Fachgesellschaften für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland und der Schweiz.

Posttraumatische Belastungsstörung. Online-Information des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Trauma bei Kindern und Jugendlichen. Information für Lehr- und Erziehungskräfte. Online-Ratgeber des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Entstehung von Traumata. Online-Information der Europäischen Gesellschaft für Traumatherapie und EMDR e.V.

Was empfinde ich als traumatisch: Zur Rolle des autonomen Nervensystems. Online-Information von Frau Dami Charf, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Diplom-Sozialpädagogin und Soziale Verhaltenswissenschaftlerin BA.

Disclaimer: Dieser Text enthält nur allgemeine Hinweise und ist nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung geeignet. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Alle individuellen Fragen, die Sie zu Ihrer Erkrankung oder Therapie haben, besprechen Sie mit Ihrem behandelnden Arzt.
AL
Ann-Kathrin Landzettel
Autor/-in
Ann-Kathrin Landzettel M. A. ist Gesundheitsjournalistin aus Leidenschaft. Vor allem zwei Fragen treiben die geprüfte Gesundheits- und Präventionsberaterin an: Wie können wir lange gesund bleiben – und wie im Krankheitsfall wieder gesund werden? Antworten findet sie unter anderem im intensiven Austausch mit Ärztinnen und Ärzten sowie in persönlichen Gesprächen mit Patientinnen und Patienten. Seit fast zehn Jahren gibt sie dieses Wissen rund um Gesundheit, Medizin, Ernährung und Fitness an ihre Leserinnen und Leser weiter.
Ann-Kathrin Landzettel
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